Die erste Tugend einer Geisha ist kuchi ga katai – der unbestechliche Mund – über alles zu schweigen, was sie gehört oder gesehen hat. So wie die Geisha erlebte Geheimnisse bewahrt, bewahrt sie auch die Geheimnisse ihrer exklusiven Welt und gewährt nur wenigen Auserwählten Einblick. Denn die Geisha ist eine wahrhaft magische „Komposition“ aus Adel, Raffinesse, Rätselhaftigkeit und Verführung.Selbstbewusst, anmutig, elegant, zurückhaltend, ihre Künste mit Würdeund Präzision darbietend. Strengste Etikette leitet jede Geste und Bewegung ihrer grazilen Hände, ausgebildet in harter Schule. Früher hieß diese Welt ukiyo: die fließende, gleitende, vergängliche Welt.

In diese verborgene Welt des flüchtigen, allein der Schönheit gewidmeten Moments, den in der Regel verbotenen Zutritt gewährt zu bekommen, das Mysterium, den Moment im Bild festhalten zu können, ist Nomi Baumgartl geglückt. Wer Japan kennt, weiß, dass wires allein Nomi‘s Sensibilität, ihrer diskreten Kunst, ihrer einfühlsamen Persönlichkeit verdanken, die intimen Bilder des ukiyo in stupender Qualität erleben zu dürfen. Sie erhielt zudem das außergewöhnliche Privileg, das Debüt einer Maiko zu begleiten.

Dieser erste Auftritt, misedashi – wörtlich „Geschäftseröffnung“ – ist eines der wichtigsten Rituale in der Laufbahn einer Geisha, der Tag an dem sie im Alter von ungefähr 15 Jahren erstmals als vollwertige Maiko auf die Geisha-Bühne tritt. Eine Geisha ist eine Künstlerin, die sich, den Regeln der Tradition gehorchend, nunmehr selbst in ein perfektes Kunstwerk verwandelt. Das Ziel ist Vollkommenheit und die Bewahrung eines einzigartigen kulturellen Erbes.

Das weiß geschminkte Gesicht der Maiko, makellos wie Alabaster und jungfräulich wie die leere Leinwand eines Malers, wird nach alten Vorbildern lebendig: die Augenumrandung ein wenig rosa, ein rosa Schimmer auf die Nasenflügel, die Augenkontur mit einem roten und schwarzen Strich umrahmt, Augenbrauen wie Schmetterlingsflügel.Auf dem Rücken der Maiko liegt eine silberne Schablone unterhalb des Haaransatzes, die unbedeckte Umgebung erhält Bemalung in Weiß. Zurück bleibt ein W, eine Insel unbemalter Haut, aufreizend nackt im Kontrast zum maskenhaften Gesicht. Nach Anlegen der Unterkimonos und des Festtagskimonos aus kostbarem Seidenstoff wird der Kragen des Kimonos im Rücken herabgezogen und gibt das delikat ausgesparte W am Haaransatz frei. Wie im alten Japan nährt sich „Sex-Appeal“ auch hier ausschließlich aus dem Geheimnis-vollen. Obi – der schwere Taillenbund aus Brokat – wird am Rücken geschlungen. Die Maiko, wie die Geisha, trägt ihn am Rücken, wie jede sittsame Hausfrau. Nur die Kurtisane schlingt ihn vorne, für alle sichtbar ihre Profession verdeutlichend.

Schließlich das I-Tüpfelchen, eine kleine Menge tiefroter Paste malt in die Mitte der Unterlippe ein winziges rotes Blütenblatt. Die Oberlippebleibt weiß, denn eine Maiko fängt erst nach einem Jahr an, sich auch die Oberlippe rot zu schminken.

Den Übergang von der Maiko zur Geisha krönt der festliche Brauch Miyako Odori, Kirschblüten-Tanz, im Gion Kobu Kaburenjo Theater inKyoto. Die erfolgreichste Maiko, Nomi‘s Maiko, erhält die Erlaubnis,in den Szenen aus dem Roman Genji Monogatari (um 990) den Prinzen Genji zu tanzen. Hier schließt sich der Kreis zur Heian-Zeit (794 – 1192), der goldenen Epoche verfeinerter japanischer Kultur, die in Gion bewahrt wird.

Eine Shamisen-Spielerin, mit ihrem dreisaitigen Instrument ihr ganzes Leben lang in der Geisha-Welt zuhause, formuliert es pointiert: „Benehmen stirbt aus in Japan. Der einzige Ort, an dem die alten Gepflogenheiten des Umgangs noch überleben,ist die Welt der Blumen und Weiden“. Wenn es keine Geishas mehr gäbe, wäre dies das Ende dessen, was Japan so einzigartig macht, das Ende traditioneller japanischer Kultur …“